Im Rahmen der diesjährigen Kulturtage in Igstadt, vom 13. bis 15. September und unter dem Motto "Igstadt zieht Kreise", bot der Heimat- und Geschichtsverein eine Führung mit Erläuterungen zu den Neubaugebieten nach 1900 an.
Der erste Vorsitzende des Heimat- und Geschichtsvereins, Wolfgang Strinz, und HGV-Mitglied Karlheinz Häuser begrüßten kurz nach 13 Uhr die ca. 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus alteingesessenen und zugezogenen Igstadter Bürgern. "Auf den Spuren der Neubürger" wandelten nun die interessierten Damen und Herren, um die Ausweitung Igstadts in den letzten 100 Jahren zu verfolgen. Vor der Schule, mit Blick auf die Jahnhalle, begann K. Häuser das wichtigste Nachkriegsprojekt vorzustellen, den Neubau der Schule sowie den in Eigeninitiative und mit großem Engagement der Turnvereinsmitglieder erfolgten Bau ihrer Jahnhalle. Die heruntergekommenen und total veralteten Gebäude für die Schule mussten dringend ersetzt werden. Der im Krieg durch Bomben völlig zerstörte Saalbau des Gasthauses "Zur schönen Aussicht" sollte ein Nachfolgegebäude für die turnerischen und sportlichen Betätigungen der Bürger ermöglichen. Nicht zuletzt sollte wieder ein Saal für alle kulturellen Veranstaltungen der Igstadter entstehen. Die beiden Bauvorhaben wurden in den Jahren 1951 angefangen und 1952/53 vollendet. Igstadt hatte wieder eine Halle für Sport und Kultur und eine moderne Schule. Die Gebäude wurden später durch mehrere Erweiterungsbauten ergänzt.
Anschließend ging der Weg um die Ecke vor den Wasserturm. Vorsitzender W. Strinz stellte die nächsten Baugebiete vor. Um den Wasserturm entstanden nacheinander die Wohnsiedlungen "An der Allee", "Am Wasserturm" und "Vorm Graben". Da sich einige Anwohner unter den Zuhören befanden, konnten kleine Unklarheiten direkt vor Ort geklärt werden. Über die Nordenstadter Straße ging es nun in südlicher Richtung. An den abzweigenden Straßen entstanden die Wohngebiete "Golzenberg", "Alte Brücke" , "Am Heiligenhaus" und "Nordenstadter Straße". Es war sehr aufschlussreich von Herrn Strinz zu hören, dass diese geplanten Baugebiete nach einer sehr kurzen Bauplanungsphase ausgeführt wurden. Den Bau der Straße "Alte Brücke", die jetzt im Jahre 2013, in "Neue Brücke" umbenannt werden könnte, erläuterte wieder K.Häuser. Durch einen vielen Teilnehmern unbekannten "Schleichweg" gelangte die Besichtigungsgruppe zu der Weingartenstraße. Hier erfuhren die erstaunten Zuhörer, dass zuerst die angrenzende Sudetenstraße und dann erst die Weingartenstraße bebaut wurden. Werner Sternberger, ein Anlieger aus Sudetenstraße, trug zur allgemeinen Erheiterung bei. Er berichtete, dass er nach der Hochzeit seine Frau Sieglinde auf den Armen über selbst ausgelegte Holzbohlen über den Strassenmatsch zu ihrem Haus tragen musste, da die schlammige Zufahrtstraße noch keine Verbindung mit der ausgebauten Glöcknerstraße besaß. Da es auch noch keine "Weingartenstraße" gab und zu dieser Zeit viele Nordenstadter zu Fuß von Nordenstadt nach Igstadt zum Bahnhof gelangten, um nach Wiesbaden zur Arbeit zu fahren, benutzten sie alle ein Pfädchen, das zwischen den Häusern Glöcknerstraße Nr. 9 (bis 1936 Gasthaus "Zur Eisenbahn") und Nr. 10 mündete. Beim abendlichen Marsch nach Hause machte man oft noch schnell einen Halt, um "beim Meister" (Steindruckermeister Wilhelm Lauck) und dessen Frau Lina, die aus Nordenstadt stammte, zur Stärkung für den Heimweg einen "Ebbelwoi" zu sich zu nehmen. Es entstanden auch vor und nach dem zweiten Weltkrieg noch einige Häuser auf beiden Seiten entlang der Susannastraße.
Nach der Bahnunterführung führte der Weg über die Hinterbergstraße zum Bahnhof, wo W. Strinz die Bebauung der Hinterbergstraße und das erst neuerdings fertig gestellte Baugebiet entlang der Bahnstrecke nach Medenbach erläuterte. Man dachte auch an unseren ehemaligen Arzt Dr. Gerhard Müschner, dessen Haus nun bald Neubauten weichen muss, und an die Igstadter jüdische Familie Löwensberg, die gegenüber dem Bahnhof wohnte und Ende 1936/Anfang1937 das Haus verlassen musste. Sie emigrierte nach Argentinien. In der Straße "Am Wiesenhang" begann die rege Bautätigkeit um 1961, die bis fast zum heutigen Tage anhält, berichtete W. Strinz. Unter der Wolfsheimers-Linde, an der Bank der "Siedlunger" in der Florian- Geyer- Straße, (ehemals Friedrich- Ebert-Straße) erläutert K. Häuser den Beginn der Errichtung der größtenteils in Selbsthilfe auf der "Schafsweide" erbauten ersten 19 Häuser, 8 Doppelhäuser und 3 Einzelhäuser und lobt die Initiative und den Zusammenhalt der Bewohner des "Unterdorfes". Diese Tatsache wurde in den 80er und 90er Jahren durch die im Sommer abgehaltene und sehr stark besuchte "Siedlerkerb" bestätigt. Das vorläufige Ende des Rundganges war erreicht. Bei einsetzendem Nieselregen begaben sich die Teilnehmer der Führung zu dem Bolzplatz, wo schon das Siedlercafé auf die hungrigen und durstigen Marschierer wartete. Neben Kaffee und Kuchen gab es Laugengebäck, Most, Ebbelwoi und Limonade. Ein Drehorgelspieler sorgte mit Liedern aus der „guten alten Zeit“ für eine schöne Café-Atmosphäre. Eine Fotowand von K. Häuser, teilweise mit alten Fotos von Dr. G. Müschner und Bewohnern der Siedlung ergänzt, war unter dem Pavillon von Pfarrer Hesse vor Regen geschützt und wurde von den Besuchern des Siedlercafés stark beachtet. Spontan hatte sich Wolfgang Habel aus der Florian-Geyer-Straße ebenfalls dazu entschlossen, Bauzeichnungen der Häuser und einige Bilder aus seinem Besitz an der Fotowand zu zeigen. Leider konnten die Kinder die für sie auf- und bereitgestellten Spielgeräte wegen des Regens zunächst kaum nutzen. Aber als gegen 16.30 Uhr der Regen nachließ, war die Freude umso größer, mit Gummistiefeln auf dem ziemlich aufgeweichten Bolzplatz alle Spielangebote auszuprobieren. Der Heimat- und Geschichtsverein bedankt sich recht herzlich bei den Organisatoren und Helfern des Siedlercafés, allen voran bei Siglinde Wolf-Göbel und Britta Meyer, für die viele Arbeit und das große Engagement. Das angebotene Siedlercafé mit der Erzählecke war trotz des kurzzeitig einsetzenden Starkregens ein voller Erfolg und hat uns allen einen interessanten Einblick in die Geschichte der Siedlung geboten.
Von Karlheinz Häuser